Motor Wema sorgte am 28. März 1971 gegen den FC Karl-Marx-Stadt für eine Sensation
Plauen. Eine Meistermannschaft mit 1:0 besiegen. Das ist der große Traum von jedem Fußballer. Den Wema-Helden gelang dieses Kunststück vor 50 Jahren! Es geschah am 28. März 1971. Und das, obwohl die damalige SED-Bezirksparteileitung sie eindringlich warnte: Die Plauener kämpften den großen FC Karl-Marx-Stadt nieder. Vier Jahre zuvor waren die Himmelblauen noch DDR-Meister geworden. Aber der Reihe nach.
„Diesen Urschrei vergess’ ich nie!“
Wind Nordost, sonntags um drei, Gabelsbergerstraße. Durchs offene Fenster strömt der Frühling vom grünen Leninplatz (heute Dittrichplatz) in die aufgeräumte Stube. Sven Gerbeth isst bei Oma und Opa sein geliebtes Stück Streuselkuchen. Der Papa ist heute nicht mitgekommen. Denn im Vogtlandstadion muss ein ziemlich großes Fußballspiel stattfinden. Jeder siebente Einwohner ist scheinbar „naus gemacht“, wie man in Plauen zu sagen pflegt. Dass in jenen Momenten ein Augenblick für die Ewigkeit stattfindet, das ist dem damals Siebenjährigen erst viel später bewusst geworden. „Diesen Urschrei vergess’ ich nie“, erinnert sich Sven an jenen verrückten Tag, als man im Umkreis von über fünf Kilometern immer wieder das Raunen des Publikums vernahm.
Plauen hat einst die zweite Liga gerockt
Wie 12.000 andere machte sich auch Wema-Fan Rainer Wunderlich frühzeitig auf den Weg: „Als Plauener waren wir seinerzeit unglaublich stolz auf unsere DDR-Liga-Mannschaft. Unsere Wema hat zu den Spitzenteams in der zweithöchsten Spielklasse gehört“, erinnert sich der damals 25-Jährige. Dass die Spitzenstädter mit ihrer wahrscheinlich besten Mannschaft aller Zeiten genau in jenem Spieljahr 1970/71 auf eine Meistermannschaft mit Nationalspielern trafen, durfte man aus Karl-Marx-Städter Sicht als Betriebsunfall einordnen. Der Plauener Fußballhistoriker Rainer Höfer berichtet: „Der für alle Experten vollkommen überraschende Abstieg des FCK aus der Oberliga traf zeitlich genau mit dem Aufschwung des Plauener Fußballs in der DDR-Liga-Südstaffel aufeinander. Statistisch gesehen reiste Spitzenreiter Karl-Marx-Stadt nach dem 4:0-Hinspielerfolg als haushoher Favorit an.“ Tja. Trotzdem hatten die Parteibonzen kein gutes Gefühl …
Walter Jacob schickt herzliche Grüße an alle
Wema-Trainer Walter Jacob musste mit Gefolge in der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt antreten: „Dort hieß es, wir sollen dem FCK beim Wiederaufstieg keine Steine in den Weg legen. Ich war stinksauer. Was war das für eine Respektlosigkeit unseren Sportlern gegenüber?“ Der Erfolgs-Coach ist inzwischen 91 Jahre. Walter verbringt die Zeit in einem Pflegeheim in Plauen und er schmunzelt bereits die ganze Woche schon vor lauter Freude. „Ich möchte alle Plauener grüßen, die vor 50 Jahren dabei waren. Wir hatten das beste Team unserer ewig langen Fußballtradition in Plauen und wir haben damals sogar Nationalspieler vom FCK und Lok Leipzig alt aussehen lassen“, schwärmt der erste offizielle hauptamtliche Trainer (1969-1972) der BSG Motor Wema Plauen.
Auch die Verkehrspolizei stand unter Hochdruck
Im Spielbericht von Gerhard Fritsch – dem BSG-Schriftführer und Stadionsprecher – steht geschrieben, dass knapp 12.000 Besucher für einen neuen Zuschauerrekord für Ligaspiele im Vogtlandstadion sorgten. Vermutlich erlebten jedoch sogar noch mehr Augenzeugen dieses Jahrhundertspiel. Das berichten jedenfalls zahlreiche Zeitzeugen. Fußball-Chronist Volker Herold vom Wema-Nachfolger VFC Plauen hat in den vergangenen zwei Jahren unglaublich viel Material archiviert. Er weiß: „Die Verkehrspolizei hatte bereits ab 13.50 Uhr mit Hochdruck zu tun. Die Zuschauer waren gekommen, um die Wema siegen zu sehen. Der Heimnimbus – Plauen war bislang ungeschlagen – sollte verteidigt werden! Der Gast und dessen 1.000 Schlachtenbummler wurden mit einem Pfeifkonzert empfangen.“
Es war ein völlig irres Spiel
„Ja. So war das. Und dann folgte ein völlig irres Spiel“, lacht der Plauener Superstürmer Werner Bamberger, der einst mit FCK-Mittelfeldstar Dieter Erler (47-facher Nationalspieler und DDR-Spieler des Jahres 1967) zusammen beim SC Wismut Karl-Marx-Stadt (Spielort in Aue) kickte. Jetzt waren die früheren Kameraden urplötzlich verbitterte Gegner. Das Jahrhundertspektakel hatte alles zu bieten. Am Anfang Hektik und Nervosität. Dann entwickelte sich ein Match voller Härte, Dynamik und Dramatik. Es ging bis an die Grenze des Erlaubten. Schiedsrichter Herrmann (Leipzig) hatte einiges zu tun, um die Gemüter im Zaum zu halten. Die rotzfrechen Plauener hatten riesengroße Chancen. Karlheinz Pöcker scheiterte per Fallrückzieher an FCK-Keeper Manfred Kaschel. Zweimal retteten die Gäste in höchster Not auf der Linie.
Nein, diesmal war’s nicht Werner Bamberger: Joachim Gruhle traf!
„Klar, der FCK hatte auch Möglichkeiten. Aber wir waren dem Führungstor näher. Und das haben wir dann in der 50. Minute erzielt“, erinnert sich Werner Bamberger an unfassbare Jubelszenen. Stadionsprecher Gerhard Fritsch unterlief im Freudentaumel glatt ein Fehler: „Ich habe Werner Bamberger als Torschütze angesagt. Das war falsch.“ Die Richtigstellung erreichte zumindest noch das DDR-Fernsehen sowie die Fachzeitschriften „FuWo“ und Sportecho. 21 Jahre jung war der Held des Tages. Mit funkelnden Augen erzählt Joachim Gruhle: „Jürgen Tomaschewski hat am rechten Flügel auf Dieter Schmidt gepasst, dessen Flanke boxte der FCK-Torwart Richtung Elfmeterpunkt, direkt auf meinen Fuß. Ich hab das Ding volle Kanne unter die Querlatte gekracht und es gab kein Halten mehr.“ Im Anschluss wuchs Wema-Torwart Dieter Jasper mit unglaublichen Paraden über sich hinaus. Dann war Schluss. Ganz Plauen jubelte noch mehrere Tage voller Überschwang. Es war eine wahre Sternstunde des Fußballs.
Bernd Wunderlich hat Gruppe „Fußballhistorie im Vogtland“ gegründet
Wema Plauen spielte mit Jasper, H. Bamberger, Marquardt, Starke, Enold, Tomaschewski, Pöcker, Häcker (46. Schmidt), W. Bamberger, Schmidt, Gruhle. Viele weitere Erlebnisberichte zu diesem und weiteren fußballhistorischen Höhepunkten der Region gibt es bei Facebook. Wie Gründer und Administrator Bernd Wunderlich mitteilt, nimmt die Gruppe „Fußballhistorie im Vogtland“ Mitglieder auf, die Bezug zur Materie haben. Zudem gibt es auf der Internetseite www.vfc-plauen.de ebenso Beiträge zur Plauener Fußballgeschichte. Kontaktperson beim Verein ist Volker Herold (E-Mail: volker.herold81@gmx.de). kare
Foto: Joachim Gruhle (links) und Werner Bamberger (rechts) feierten mit Motor Wema Plauen
1971 Platz vier in der zweithöchsten Spielklasse der DDR. Foto/Repro: Karsten Repert